Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sorgt für Sorgen
Das im Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – oder einfach nur Lieferkettengesetz – hat von Beginn an hohe Wellen geschlagen – und um seine genaue Ausgestaltung wurde in Politik und Wirtschaft hart gerungen. Während die einen es für noch zu lasch hielten, empörten sich die anderen über die massiven Belastungen für die Unternehmen.
So hat das LkSG zahlreiche Anpassungen durchlaufen, etwa hinsichtlich des Geltungsbereiches: Das LkSG gilt heute ab einer Unternehmensgröße von 3.000 und nicht 500, wie ursprünglich geplant. Doch auch, wenn es bislang große Unternehmen betrifft, bleiben kleine und mittelgroße Unternehmen nicht von dem Gesetz verschont: Die geforderte Überprüfung aller direkten Zulieferer ist sowohl für die direkt als auch die indirekt von dem Gesetz betroffenen Unternehmen ein hoher Aufwand. Daher werden Stimmen lauter, die insbesondere für die kleinen und mittelgroßen Unternehmen des Mittelstandes ein „Bürokratie-Monster“ und eine echte Gefährdung für die Wettbewerbsfähigkeit, wenn nicht sogar für den ganzen Standort Deutschland sehen.
Sind Sorge und teils Wut vieler UnternehmerInnen berechtigt? Wir haben uns einige interessante Meinungen und Stimmen angeschaut. Aber beginnen zunächst einmal mit einem Aufschlag in der Politik.
Gescheiterte Selbstverpflichtung
Die Position der Pro-LsKG-Fraktion in der Politik ist auf einen klaren Punkt zu bringen: Die Unternehmen tragen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferketten. Die bisherige Selbstverpflichtung funktioniere aber nicht, sie gilt als gescheitert. Eine Studie, die im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt wurde, habe gezeigt, dass weniger als 50 Prozent der befragten Unternehmen überprüfen und nachweisen können, unter welchen Umständen importierte Güter hergestellt wurden - ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft ihren ethischen Verpflichtungen nicht nachkomme. Die Durchsetzung des Lieferkettengesetzes hätte also mitnichten etwas mit Abwälzen oder Delegieren zu tun. Sondern soll den entsprechenden „Ruck“ geben, damit Unternehmen ihre sowieso schon gegebene Pflicht zur Eigenverantwortung wahrnehmen.
„Ich sehe das deutsche Lieferkettengesetz nicht als bürokratische Belastung, sondern auch als eine Hilfe und Unterstützung für Unternehmen, mehr Transparenz, mehr Klarheit, in ihren eigenen Lieferketten aufzubauen.“ Anna Cavazzini, Europaabgeordnete der Grünen; Quelle
Betont wird daher immer wieder, dass es hier lediglich um einen Schritt in die richtige Richtung gehe. Diese hätte den Schutz der Menschenrechte zum obersten Ziel, was im Interesse der Unternehmen sein dürfte. Und dafür werde den Unternehmen eine verlässliche Handlungsgrundlage geboten. Das Gesetz, so der politische Common Sense einiger Parteien, sei Pionierarbeit und Meilenstein zugleich auf dem Weg hin zu fairen Bedingungen entlang der gesamten Lieferkette und stärke unterm Strich die Wettbewerbsfähigkeit. Diese politische Sichtweise wird nicht uneingeschränkt geteilt.
Administrativer Tsunami
Es mehren sich die Stimmen, die Akteuren hinter dem Lieferkettengesetz gar eine gewisse Scheinheiligkeit im eigenen Handeln vorwerfen. So findet etwa Prof. Werner Kirchdörfer klare Worte:
„Dieses scheinheilige Gesetz schadet dem Standort Deutschland.“ Prof. Werner Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Quelle
Die Scheinheiligkeit sieht Kirchdörfer insbesondere in dem Umstand, dass Ämter und Behörden sich dem LkSG nicht zu stellen haben. Und „damit realisieren Politik und Verwaltung nicht ansatzweise, was sie Unternehmen an Belastung aufbürden.“ (Quelle) Unternehmen fürchten eine überbordende Bürokratie. Die Folgen davon seien für die Unternehmen "nicht mehr kalkulierbar", heißt es auch vom Verband der deutschen Maschinenbauer (VDMA) (Quelle). Und Kirchdörfer spricht hier von einem „administrativen Tsunami“. Insofern könnte es eine Welle lostreten, in der sich Unternehmen aus riskanten Regionen zurückziehen.
„Bereits jetzt verabschieden sich Unternehmen wegen bürokratischer und rechtlicher Hürden vom afrikanischen Markt.“ Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) Quelle
Verdenken könnte man einen Rückzug nicht. Das Lieferkettengesetz fordert, dass Unternehmen ein Risikomanagement implementieren, das nicht nur die etwa die Umwelt- und Arbeitsschutzbedingungen bei den direkten Zulieferern und Partnern auf dem Radar hat – sondern auch der indirekten! Doch Fakt ist, dass genau die den meisten Unternehmen gar nicht bekannt sind. Hinzu drohten
„… massive Kaskadeneffekte von Produktionsdrosselungen, Produktionsverlagerung ins Ausland bis zu Firmenschließlungen, die neben Arbeitsplätzen auch Kaufkraft vernichten“ Reinhold von Eben-Worlée, Verbandspräsident der Familienunternehmer. Quelle.
Böse aufstoßen tut vielen UnternehmerInnen eine gewisse Doppelmoral bei den jüngsten Energieverhandlungen der Bundesregierung. Hier nämlich scheint die eigene Überwachung von Menschenrechten in eine mindestens mal zweite Reihe zu rücken. So schreibt der Unternehmern Dr. Gunter Kegel in einem vielbeachteten Post auf LinkedIn:
„Das Lieferkettengesetz ist ein politisches Ablenkungsmanöver! 2021 war ich zugegen, als die Bundesregierung mit einer Delegation aus Saudi-Arabien über den Export des deutschen dualen Ausbildungssystems dorthin verhandelte. Wieso auch nicht? Schließlich liefern wir auch Industriegüter an den Golf, wir kaufen dort Öl ein, wir pflegen gute Beziehungen. Aber war da nicht etwas? Die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien, die Todesstrafe? Sie ahnen es: kein einziges Wort kam der deutschen Delegation dazu über die Lippen. Das passt in ein Muster: geht es darum, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, duckt sich die deutsche Politik weg – diese Aufgabe schiebt sie der Industrie zu. Das Lieferkettengesetz offenbart dies so deutlich wie lange nicht.“ Dr.-Ing. Gunther Kegel, CEO Pepperl+Fuchs Gruppe
Verletzte Familienehre
Die unternehmerische Bejahung der grundlegenden Ziele des Gesetzes steht bei dieser Diskussion außer Frage. Und der familiengeführte Mittelstand zeigt sich „angefasst“ ob der politischen Vorstöße, sich um Menschenrechte zu kümmern:
„Familienunternehmen nehmen ihre Verantwortung ernst. Viele von ihnen achten seit Generationen auf einen fairen Umgang mit den Herstellern von Vorprodukten. Auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten kann es ein Vorteil sein, wenn deutsche Unternehmen damit werben können, dass sie und ihre Produkte hohen Standards verpflichtet sind.“ Prof. Rainer Kirchdörfer; Quelle
Genau dieser Punkt zeigt wunderbar, dass der familiengeführte Mittelstand und die Politik in der Zielsetzung auf gleicher Wegstrecke sind. Einzig die Umsetzung dieses Weges wird von Seiten einiger und sich mehrender Wirtschaftsstimmen angezweifelt. Oder wie es Niedermark vom BDI treffend ausdrückt:
"Wir alle wollen saubere Lieferketten, aber die erreichen wir nicht durch bürokratische Überforderung" Wolfgang Niedermark, BDI; Quelle
Bereits vor dem Lieferkettengesetz auf Transparenz getrimmt
Das mittelständische Familienunternehmen UVEX gilt als Transparenz-Vorbild: Die Uvex Gruppe besitzt 48 Niederlassungen und ist in 22 Ländern vertreten. Uvex produziert schwerpunktmäßig in Deutschland: Zwei Drittel der rund 2.700 Mitarbeiter sind in Deutschland beschäftigt.
Bereits seit 2008 hat die Gruppe einen Sozialstandard für deren Lieferanten. Durch die Orientierung am Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen gebe es klare Richtlinien und Prozesse für diese. Und die Kontrolle bezieht sich auf immerhin 30.000 unmittelbare Lieferanten und Dienstleister in 79 Ländern. Susann Schubert, verantwortlich für Nachhaltigkeit bei Uvex, führt aus, dass sich die Summe um das Fünf- bis Zehnfache erhöhe, wenn die indirekten Zulieferer miteinbezogen würden.
"Wir waren vor dem Lieferkettengesetz schon gut aufgestellt für die Notwendigkeiten, die uns das Lieferkettengesetz im operativen Bereich abverlangt." Claus-Jürgen Lurz; Safety Group Uvex; Quelle
Familiengeführter Mittelstand: Vorbild gelungener Digitalisierung
Die unterschiedlichen Meinungen werden so schnell nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sein. Natürlich wird auf die Unternehmen ein großer bürokratischer Aufwand und neue Aufgaben im Bereich des Risikomanagements, des Supply Chains Trackings und weiterer, heute erst am Horizont zu erahnenden Bereiche zukommen. Doch etwas fatalistisch formuliert: Das Gesetz ist gestartet und wird seinen Radius ausdehnen. Und es ist nicht das einzige: Im Rahmen des Green Deals werden zahlreiche Gesetze, Regularien und Direktiven auf den Weg geschickt, die die Transparenz und damit das Dokumentationsvermögen von Unternehmen strapazieren werden.
Doch Problembewunderung hemmt Geschäft und Wachstum. Um hier gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Interessen unter einen Hut zu bringen, können wir uns doch mal die Frage stellen: Welcher Stellhebel könnte denn dabei mithelfen, wenn nicht sogar den Ausschlag dafür geben, dass die neuen Rahmenbedingungen weniger bürokratisch, weniger kostenintensiv, wettbewerbsgerecht und dennoch wirksam umgesetzt werden können?
„Digitalisierung“ ist hier schnell das Wort der Stunde. Doch exakt diese zeichnet bei der anstehenden Entwicklung massiv für ein immenses Kostengrab oder eine effiziente Umsetzung von unternehmerischen und politischen Zielen verantwortlich. Welchen Preis ein Unternehmen für „seine“ Transparenz zahlen muss, hängt davon ab,
wie hoch der Preis ist, diese Transparenz zu erheben;
wie effizient die notwendige Dokumentation gelingt und
wie groß der Handlungsspielraum sein wird, angemessene Maßnahmen in die Wege zu leiten, um seine Lieferkette optimaler steuern zu können.
Digitalisierung soll – in simpelsten Worten gesprochen – Prozesse vereinfachen und Ressourcen einsparen. Ob also Gesetze wie das LkSG Unternehmen hohe Preise wie den der Wettbewerbseinbuße abverlangen, oder im Gegenteil den Unternehmen sogar neue Märkte und Margen eröffnen, wird erheblich davon abhängen, welche Technologien den Umsetzungsprozess begleiten. Hier kann und wird die Digitalisierung zeigen können, was sie kann. Und gerade Familienunternehmen können sich dann mit Blick auf manch politisches Handeln auf eine ihrer beeindruckendsten Stärken besinnen: Als gutes Vorbild vorangehen!
Quellen:
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